Hier führe ich dich zu einem wiederkehrenden und ganz speziellen Aspekt, der in etlichen Märchen literarisch behandelt wird und dessen Bedeutung dem Betrachter aufgrund mangelnder eigener Erfahrung oder Fantasie fast immer unsichtbar bleibt. Dabei wollen wir bedenken, dass Märchen Botschaften vermitteln, die mit dem Wunschdenken mächtiger gesellschaftlicher, politischer und religiöser Institutionen in Konflikt stehen und eine Ächtung oder sonstige Bestrafung zur Folge haben könnten, außer in rechtsstaatlichen Demokratien. Die Verschlüsselung des Erlebten ist dabei recht simpel und geschieht fast schon automatisch.
Wer das weiß, dem führt es zur Erkenntnis, wer das nicht weiß sieht nur eine Geschichte. – Lass dich überraschen!
Fragen wir uns, was folgende beispielhafte Bilder aus Märchen miteinander zu tun haben mögen.
Frau Holle: Die hübsche, fleißige Tochter springt in einen tiefen Brunnen.
Zauberer von Oz: Ein Wirbelsturm erfasst Dorothy und trägt sie davon.
Die unendliche Geschichte: Atréju überwindet die Sphinx und Bastian erlebt das mit.
Contact: Ellie kreiselt in einer Zeit-Raummaschine und wirbelt durchs Universum.
Alice im Wunderland: Sie folgt einem Kaninchen in dessen Bau und landet in einem Raum mit vielen Türen.
Viele märchenhafte Erzählungen weisen auf ein solches Schlüsselereignis hin. Und des Rätsels Lösung erschließt sich aus dem Resultat des Geschehnisses, das in allen Fällen identisch ist: Die Protagonisten gelangen in eine andere Welt.
Fragen wir uns nun, wessen es in der Realität bedarf, um gefühlt in eine andere Welt zu gelangen, kommen mir Schamanen*innen, Seher*innen, Priester*innen usw. in den Sinn. Und was machen diese, um in eine fantastische, spirituelle Welt zu gelangen? Sie singen, konsumieren möglicherweise Drogen, meditieren oder tanzen sich dabei in eine tiefe, tiefe Trance.
Wenn es einem zum ersten Mal gelingt, sich in eine tiefe, tiefe Trance zu versetzen, begleitet von Ängsten davor, welche Gefühle, Fantasiegestalten und Ereignisse einem möglicherweise erwarten, ist dieser Vorgang außerordentlich spektakulär. Und man fühlt sich daraufhin dauerhaft, als lebte man in zwei Welten: Die Realität da draußen und die Gefühlswelten mit ihren vermeintlichen Dämonen und Geschöpfen im geistigen Inneren.
Und man entdeckt, dass sich diese Welten beeinflussen, indem sie miteinander zu kommunizieren scheinen. Denn das, was draußen geschieht, bestimmt oder beeinflusst die Gefühle im Innern, diese widerum das Agieren im Da-draußen. Es ist ein Hin und Her.
Und wie mag sich der Vorgang anfühlen, der einen in einen solchen Zustand versetzt?
„Es war wie der Sprung in das erfrischende Nass eines tiefen Brunnens, und ich gelangte auf eine himmlische Wiese. …“
„Es war wie ein Wirbelsturm, der mich erfasste und mich weit weg von zuhause verschlug. …“
„Es war als bewältigte ein Kind in mir eine große Aufgabe, und so zog es mich nach Phantasien. …“
„Es war, als kreiselte ich voller Staunen durch das Universum und als erlebte ich mich wie vor der Geburt im Schoß meiner Mutter. …“
„Es war als stürzte ich in einen Kaninchenbau mit einem Raum voller Türen am Grund. …“
Jesus war in der Wüste, wo ihm der Teufel begegnete.
Oder: Jesus war in der Wüste. Er war fast verhungert, dehydriert, erschöpft und desillusioniert. Er fiel in eine tiefe Trance und begegnete dem Teufel.
Märchen über durchlebte Traumata erzählen von der Erfahrung des Zustands einer tiefen, tiefen Trance.